„damals, im Jahr 1961, als Frauen Hemdblusenkleider trugen und Gartenvereinen beitraten und zahllose Kinder bedenkenlos in Autos ohne Sicherheitsgurt herumkutschierten; damals, bevor überhaupt jemand ahnte, dass es eine 68er-Bewegung geben würde, und erst recht nicht eine, von der ihre Teilnehmer die folgenden sechzig Jahre erzählen würden; damals, als die großen Kriege vorbei waren und die geheimen Kriege gerade begonnen hatten und die Menschen allmählich anfingen, neu zu denken und zu glauben, alles wäre möglich, stand die dreißigjährige Mutter von Madeline Zott jeden Morgen vor Tagesanbruch auf und war sich nur einer Sache ganz sicher: Ihr Leben war vorbei.“

Dieses Buch ist eine Granate“, und wenn das Elke Heidenreich in einer Buchbesprechung schreibt, lohnt es sich allemal, näher hinzuschauen. Habe ich gemacht. Und meine Empfehlung ist: unbedingt lesen!

Die Geschichte ist frei erfunden, sagt die Autorin Bonnie Garmus, und doch habe ich mir beim Lesen immer wieder so gewünscht, dass es diese Elisabeth Zott wirklich gegeben hätte. Eine hochtalentierte Wissenschaftlerin, die soviel Potenzial hat, dass sie es allen (Männern) locker zeigen könnte – leider aber den falschen Beruf in der falschen Zeit für eine wissenschaftliche Frauenkarriere ergriffen hat. Und die trotzdem ihr Ding in ihrer ganz eigenen Art macht!

Es sind die 50iger Jahre in den aufkommenden Boomjahren Amerikas und da wird nicht nur von Frauen in Commons, Kalifornien, vor allem erwartet, dass sie erstens eine möglichst gute Partie machen, zweitens viele Kinder bekommen und drittens fortan ihre Tage mit Hausarbeit und als liebende und bewundernde Ehefrau und Mutter verbringen.

Als hochbegabte Chemikerin arbeitet Elisabeth Zott Ende der 1950er Jahre an einer US-amerikanischen Universität. Doch – siehe oben – Frauen hatten damals auch an Unis keine Chance. Zott wird schon mal für eine Schreibkraft gehalten, aber nicht für eine ernstzunehmde Chemikerin. Sie wird gemobbt und übersehen, ihr Chef gibt Zotts bahnbrechende Forschungsergebnisse als seine eigenen aus.

Es gibt dann noch eine kurzlebige Liebesbeziehung mit einem ebenso hochbegabten Kollegen (Calvin Evans), Elisabeth wird schwanger, bekommt eine Tochter und kämpft sich fortan durch alle Widrigkeiten einer alleinerziehenden berufstätigen Mutter. Nachdem sie zufällig herausbekommt, dass ihre Tochter Madeline, die für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ebenso neunmalklug wie schräg daherkommt, den jeden Morgen von der Mutter sorgfältig komponierten Lunch an eine Mitschülerin verschenkt und dabei selbst immer dünner wird, stellt sie den -ebenso alleinerziehenden- Vater dieses Mädchens zur Rede. Der fällt aus allen Wolken, als Elisabeth erklärt, dass sie den Lunch selbstverständlich mit ihrem Chemikerinnenblick so zusammenstellt, dass das Essen alles Notwendige an Vitaminen, Mineralien und Nährstoffen enthält, um ihr Kind gesund und hochwertig zu ernähren und sie nicht einsieht, dass andere von diesem Essen profitieren. Der Mann ist zufällig TV-Produzent – Elisabeth wird Gastgeberin der TV-Kochshow „essen um sechs“ und Star.

Eigentlich ist für sie Kochen pure Chemie – eine Veränderung der Zustände und sie kann natürlich alles erklären. Die Hausfrauen vor den Bildschirmen sind begeistert.

 Mehr will ich gar nicht vorwegnehmen. Nur vielleicht noch, dass es einen Hund „Halbsieben“ gibt, dem Elisabeth das Sprechen beibringt (!)

Elisabeth ist intelligent, pragmatisch, direkt, verblüffend schlagfertig und dann doch wieder so naiv- als Leser:in leidet man mit, weil sie immer und immer wieder einstecken muss.

Zugegeben, das Ende entwickelt sich für mich persönlich etwas „rosamunde-pilcherhaft“, aber sei’s drum. Das Buch ist einfach „good stuff“ und wer wie ich, immer mächtig Freude an Geschichten hat, in denen Frauen sich mit Intelligenz und Ausdauer gegen gesellschaftliche Enge und männliche Dominanz stemmen, der wird das Buch bis zum Ende nicht mehr aus der Hand legen…
Gabriele Coché-Schüer

Eine Frage der Chemie
Gramus, Bonnie
Verlag ‎ Piper; 4. Edition
Geb. Ausgabe 464 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3492071090
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3492071093
Originaltitel ‏ : ‎ Lessons in Chemistry
€ 22,00