Victoria Berg studierte Wirtschaftsingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie (B.Sc. und M.Sc.) sowie in Kalifornien und Chile, wo sie ein groß angelegtes Forschungsprojekt zu schnell wachsenden Start Ups vorantrieb. Heute ist sie als Organisationsberaterin und Executive-Coach tätig und bestärkt Führungsebenen und Teams darin, kulturelle Transformation & Entwicklung souverän zu gestalten.

2021 veröffentlichte sie mit weiteren Forschungskolleg:innen eine der bisher größten Studien zu Narzissmus in deutschen Führungsetagen und schaffte es damit zur Titelstory im Harvard Business Manager, die wiederum Jessica Saum zu der Überzeugung brachte, dass wir uns im unternehmerinnen forum mit der Studie einmal näher beschäftigen sollten. Gesagt, getan….Mitgliedsfrau Astrid Vogell öffnete uns für diesen Abend die Akademie Klausenhof, die seit vielen Jahren Fort- und Weiterbildung und Integration in Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen und Wirtschaft anbietet. Astrid Vogell, die bereits auf eine lange, erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft und der sozialen Beratung, zurückblicken kann, feierte an diesem Abend übrigens ihr 1-jähriges als stellvertretende Direktorin der Stiftung Akademie Klausenhof gGmbH.

Astrid Vogell, Akademie Klausenhof

NARZISSMUS ist in aller Munde, spätestens seit Trump das internationale politische Parkett betrat. Er verkörpert Narzissmus wie kein anderer. Und wir erleben, wie Orban, Erdogan und andere ihn kopieren. Das Thema wird zunehmend öffentlich und bekommt immer größeren Auftrieb. Nicht nur die Wissenschaft beschäftigt sich damit, auch in Unternehmen wird narzisstisches Verhalten zunehmend beobachtet. Victoria Berg hat sich die Aufgabe gestellt, die wissenschaftlichen Erkenntnisse über dieses Phänomen für eine breitere Öffentlichkeit lebendig zu machen, indem sie neue Untersuchungsergebnisse mit ganz konkreten Beispielen aus der Wirtschaft verknüpft.

Ihre Recherchen zeigen, es gibt ausgeprägte männliche und weibliche Narzissten. Der Versuch, bei Google eine Mail zu schreiben mit dem Text „Narzisstin“ wurde jedoch von Google’s Rechtschreibkorrektur zu „Narzisst“ geändert. Witzig, unsere Welt….

Ein gesunder Narzissmus gehört zu uns Menschen. Er trägt dazu bei, ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen. Schwierig wird es, wenn Narzissmus dazu führt, andere Menschen mit diesem Verhalten zu dominieren und sich offen überlegen zu fühlen. Narzisst:innen haben durchaus gute Eigenschaften, wie Durchsetzungsstärke und Einsatzbereitschaft. Narzisst:innen haben die Gabe, Menschen zu bewegen. Doch übergroß ausgeprägte narzisstische Eigenschaften lassen bei einigen Menschen das Gefühl wachsen, anderen Menschen gegenüber in vielen Lebenslagen überlegen zu sein, auch im Hinblick auf ihre kognitiven Fähigkeiten. Und tatsächlich sind sie häufig intelligent, eloquent und können sich gut verkaufen, aber ihr übersteigertes positives Selbstbild ist eben auch manchmal mehr Schein als Sein. Sie benötigen den Applaus und die Bestätigung anderer Menschen, um ihr Selbstbild aufrecht zu erhalten.

Narziss war in der griechischen Mythologie ein gut aussehender und fröhlicher Jüngling, der Frauen in den Wahnsinn trieb. Sein Ego und seine Eitelkeit hinderten ihn daran, eine andere Person mehr als sich selbst zu lieben. Er verliebte sich in sein Selbstbild im Wasserspiegel und ertrank später vor lauter Selbstliebe genau darin.

„Der Narzisst ist wie die Sonne. Komme ich ihm zu nah, verbrenne ich. Bin ich zu fern, erfriere ich und stehe im dunkeln“, so Victoria Berg. Narzisstische Menschen in Unternehmen können ganze Teams sprengen. Es fehlt ihnen an Empathie. Wenn wir zugleich betrachten, dass sich in veränderten Zeiten Traditionen auflösen und die Individualität in den Mittelpunkt rückt, scheint sich der Trend zu mehr narzisstischem Verhalten zu verstärken. Die Studie zeigt: jüngere Generationen sind narzisstischer als ältere. Doch ist es tatsächlich so, dass eine narzisstischere Generation heranwächst, oder war es einfach schon immer so, dass jüngere Menschen eher zu narzisstischem Verhalten neigen und es mit dem Alter abnimmt?
Wir wissen, dass es Narzissmus in den Unternehmensstrukturen immer schon gab. Und wissenschaftlich belegt ist: je höher Menschen in Unternehmen aufsteigen, desto ausgeprägter ist dieses Verhalten. Ein Blick in die Zahlen zeigt zudem, dass durchschnittlich mehr Männer als Frauen narzisstisches Verhalten zeigen. Doch der Unterschied ist nicht so groß wie häufig angenommen wird, Frauen stehen gerade mal ca. 10 % „besser“ da.
Fakt ist auch, dass toxischer Narzissmus zu echten wirtschaftlichen Schäden in Unternehmen führt. Beispielsweise dadurch, dass ausgeprägte Narzisst:innen nur ihre eigenen Ziele verfolgen, nicht die des Unternehmens, oder indem sie durch ihr Verhalten Teammitglieder gegeneinander ausspielen, ein schlechtes Arbeitsklima erzeugen und daraufhin gute Mitarbeitende das Unternehmen verlassen.
Was ist zu tun? Wie gehen Unternehmen, die dies erkannt haben, damit um?

Narzissmus in Deutschland

„Es gilt, das Team zu stärken und das gelingt durch ein regelmäßiges, strukturiertes Feedback“, weiß Victoria Berg. So verpflichtet die Lufthansa zum Beispiel jede Crew nach einem Einsatz, sich gegenseitig ein Feedback zu geben, das nicht nur verbal, sondern auch durch eine App festgehalten wird. Geht es zukünftig um die Frage, wer eine Führungsaufgabe übernehmen soll, zeigt ein Blick auf das Langzeitergebnis des Feedbacks der Kolleg:innen, ob diese Person auch tatsächlich als Führungskraft geeignet ist.“

Gleichzeitig gilt es in den Unternehmen, im Miteinander zu fragen und zu beraten, ‚welche Führungspersönlichkeiten wollen wir erleben‘, ‚wie können wir Vorbildfunktion erreichen‘, ‚was sind unsere Werte‘ und ‚wie können wir eine Feedbackkultur im Unternehmen leben, so dass sich auch tatsächlich die Kultur des Miteinanders einstellt, die Zugkraft entwickelt?‘. So können narzisstische Verhaltensweisen angesprochen werden und Veränderungen gemanagt werden. „Sprecht Menschen auf ihre Verhaltensweisen an und nicht Eure Einordnung“, so Berg. Eben nicht: „Du bist ein Schwein!“ sondern „Gerade hast Du dich verhalten wie ….“  Das verurteilt das Gegenüber nicht, sondern zeigt Chancen in der Zusammenarbeit auf.

Persönlich berührt zeigte sich Victoria Berg über ein Interview mit einer Managerin, die berichtete: Man(n) sagte mir: „Wenn du hier etwas werden willst, dann verhalte dich wie die Männer. Setz dich durch, zeig Ellenbogenmentalität.“ Die junge Frau war schockiert und weigerte sich, alle ihre Werte zu verraten, um Karriere zu machen.

Es gibt sie noch, die alte Welt der narzisstischen Managementebenen. Und neue kommen hinzu. Ein Rezept zum Aufbruch dieser Strukturen in Unternehmen ist auf jeden Fall: „Mehr Frauen in Führung!“ kann Victoria Berg mit Blick auf die Statistiken nur sagen. Eine gute Persönlichkeitsanalyse bei der Arbeitsaufnahme oder besser noch – bereits im Auswahlverfahren – kann dafür sorgen, weniger Narzissten ins Unternehmen zu bringen.

Der Applaus war ihr sicher. Souverän, sympathisch und stark im Detail zu Hause, so zeigte sich Victoria Berg, die auch auf persönliche Fragen der Unternehmerinnen und Wirtschaftsfrauen Antworten fand. Ein starker Beitrag, so wie wir es im unternehmerinnen forum niederrhein gewohnt sind, denn hier gibt es immer wieder neue Denkanstösse und einen regen Erfahrungsaustausch – alles, was das eigene Unternehmen durch Erfahrung und Wissensaustausch bereichert. So waren auch Physiotherapeut:innen, Psycholog:innen und weitere Gäste bei uns, die das Thema attraktiv fanden. Und auch unbedingt erwähnenswert: ein Mitgliedsantrag wurde mitgenommen…

Victoria Berg erforscht weiter im Rahmen ihrer Promotion an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf die Auswirkungen von Narzissmus im Unternehmertum mit Hilfe von Big Data- und Textanalysen. Wir sind gespannt, demnächst mehr von ihr zu hören.

In den stimmungsvoll illuminierten Räumen der Akademie Klausenhof wurde noch fleißig miteinander diskutiert und bei einem Glas (alkoholfreiem) Wein und Secco vom Kloster-Kraul Net(t)working gelebt.

Begrüßung durch Barbara Baratie
Autorin: Barbara Baratie

Foto´s: Akademie Klausenhof – Team