„Schön, dass Ihr am Freitag zu mir kommt. Das Wetter wird wohl leider etwas unbeständig und kühl werden. Ich bitte Euch deshalb dementsprechende Kleidung und festes Schuhwerk, eventuell Gummistiefel und eine warme Jacke mitzubringen.“ So stand es in der mail.

Also standen am vergangenen Freitag in Grieth auf dem Hof Raadts Edelobst vom Griether Deich von Annette Raadts  achtzehn erwartungsfrohe Frauen in zünftigen Jacken, Gummistiefeln oder Wanderschuhen. Das Equipment war durchaus angebracht, denn gleich ging es los in Richtung Apfelplantage. An der Plantage angekommen, wurden wir von der 82jährigen Mutter von Annette begrüßt und … es gab zu unserer Begeisterung inmitten von Apfelbäumen erst einmal einen kleinen Umtrunk:  Alkoholfreier Prosecco! Natürlich aus Äpfeln hergestellt.

Annette Raadts hatte eine Menge mit uns vor und steuerte mit uns die ersten Reihen Apfelbäume an, sprang auf einen Anhänger, der sonst die Riesenkisten mit den gepflückten Äpfeln in die Lagerhallen transportiert. Wir sollten ja schließlich direkt am Objekt  lernen. „Wir sind bereits, was die frühen Sorten angeht, mitten in der Ernte. Wir haben erfahrene Pflückerinnen aus Polen, die seit vielen Jahren kommen. Sie bleiben über die Erntezeit und fahren dann wieder zurück zu ihren Familien. Sie sind Expertinnen im Pflücken. Man nimmt ja jeden Apfel in die Hand und legt ihn in die Kisten. Schon beim Pflücken werden die Äpfel, die nicht perfekt sind, aussortiert für die Saftproduktion. Was Ihr hier oben seht, sind Hagelnetze. Seit 1990 hatten wir immer wieder mit heftigem Hagel zu kämpfen und das bedeutet jedes Mal 30-40% weniger Ertrag. Man ist zwar auch dagegen versichert, aber die schönsten Äpfel, die an der Sonne hängen, sind dann immer kaputt.  Zudem ist das Pflücken und Aussortieren später sehr viel aufwändiger.“

2011 war komplett verhagelt. Die Ernte hatte begonnen, “alles war Matsch, man konnte in jeden Apfel den Daumen stecken, aber ein Jahr später hatten wir überhaupt keinen Hagel und die Leute konnten die Äpfel -ohne groß zu gucken, einfach abpflücken. Da habe ich mir gesagt: Das will ich jetzt immer so haben.“

2013 wurden dann die Hagelnetze eingerichtet. Sie sind feinmaschig so über die Baumreihen gespannt, dass der schwere Hagel durch Öffnungen nur in die Arbeitswege in der Mitte rutschen kann. Die Apfelbäume sind so ab der Blüte optimal geschützt. Zudem gibt es eine Beregnungsanlage, die im Frühjahr bei einsetzendem Frost die Blüten und kleinen Früchte dauerberegnet und so vor dem Erfrieren bewahrt. Nachdem der letzte Apfel geerntet ist, werden die Netze, ähnlich wie bei einer Markise, zurückgezogen. „Natürlich gab es 2013, 2014 keinen Hagel, 2015 auch nicht. Aber 2016 wären wir zu 80% verhagelt gewesen und ebenso in 2017, in den letzten beiden Jahren wären zumindest um die 40% an Verlust zu erwarten gewesen. Also ich denke mal-  alles richtig gemacht!“

„Natürlich gab es 2013, 2014 keinen Hagel, 2015 auch nicht.
Aber 2016 wären wir zu 80% verhagelt gewesen und ebenso in 2017
Also ich denke mal-  alles richtig gemacht!“

Solche Maßnahmen sind für die Umsatzplanung unerlässlich.  Der Hof Raadts Edelobst ist weithin bekannt. Es kommen viele Stammkunden mittlerweile und beliefern wir auch zahlreiche Supermärkte in der Region. Man minimiert so das Ausfallrisiko enorm.

Baumreihe an Baumreihe: Delbar, Elstar, Gala, das sind die frühen Sorte, die ab Mitte August bis Anfang September geerntet werden, Ende September folgen dann Topaz, Rubinette, Jonagold und (der Shooting Star unter den Winteräpfeln) Wellant.

Anfang Oktober sind dann Roter Boskoop, Pilot und Pinova an der Reihe. Nicht zu vergessen die Birnen. Denn auch die Sorten Williams Christ, Vereins Dechant und Conference wachsen hier.

„Die Pflückerinnen gehen jeden Tag durch die Reihen und es werden immer nur die reifen Früchte abgenommen, bis alles abgeerntet ist.“  Vor Kopf der Baumreihen große dekorative Rosenbüsche. Alles steht in Reih und Glied, die Höhe überall gleich. „Die Höhe wird dadurch begrenzt, dass die Bäume jedes Jahr im Winter einen Hauptbaumschnitt erhalten.“, erklärt Annette Raadts, zieht ihre Baumschere aus der Hosentasche und schneidet im Vorbeigehen mal eben den einen oder anderen Zweig zurück.

Und wie lange braucht ein Baum, bis er trägt? Annette Raadts zeigt auf eine Reihe neu gepflanzter Apfelbäume: „Diese Bäume, die wir von einer holländischen Obstbaumschule bekommen, wurden im Frühjahr gepflanzt. Seht Ihr hier die schöne Verzweigung? Das ist ganz wichtig. Die Zweige müssen Platz für die Früchte haben. Dieses Jahr soll der Baum nur wachsen, nächstes Jahr trägt er dann 30, übernächstes Jahr 50 Äpfel und am Ende soll er dann regelmäßig 100 tragen.  Bei den älteren Bäumen achten wir darauf, dass sie nicht mehr als 100 Äpfel haben, weil sie sonst im nächsten Jahr wenig tragen. Wenn alles gut geht, können die Bäume 18-20 Jahre stehen. Wir düngen nur nach Bodenproben, versuchen, immer weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen und setzen dabei  auf viele Nützlinge: Marienkäfer gegen Blättläuse und Raubmilben gegen Spinnmilben. Ganz auf die Chemie verzichten können wir bei bestimmten Krankheiten aber nicht.“

„Wir setzen auf viele Nützlinge: Marienkäfer gegen Blättläuse und Raubmilben gegen Spinnmilben.
Ganz auf die Chemie verzichten können wir bei bestimmten Krankheiten aber nicht.“

das perfekte Insektenhotel

Wir stehen jetzt alle vor einem Gestell aus Holz und Draht. „Der Imker kommt im Frühjahr mit zehn Bienenstöcken um mit seinen Bienen für ausreichende Bestäubung zu sorgen. „Ich bin sehr froh, dass er kommt“, betont Annette Raadts, „ich bezahle auch einen kleinen Betrag dafür. Im Gegenzug verkaufen wir seinen Honig bei uns im Hofladen. Eine Grietherin hat zwei weitere Bienenstöcke dauerhaft hier aufgestellt.  Mein persönliches Insektenhotel, das Ihr hier seht, ist jetzt so eingerichtet, dass die Waben und Insektenbehausungen vor Wind und Wetter geschützt sind, mit einem feinen Draht davor, damit die Spechte nicht die Brut der Wildbienen fressen. Schaut mal, hier auf dem Foto sind z.B. Bienenpuppen, die ich im Herbst vorsichtig wasche und öffne, heraus kommen fertige kleine Bienen. Ich überwintere sie im Kühlen. Im Frühjahr hole ich sie aus dem Winterschlaf und setze sie in die freie Natur.“

Das sind die Momente, in denen klar wird, in einem solchen Betrieb geht es immer nur mit der Natur und das erlebt man hier und jetzt ganz intensiv. Ein Baggersee im Abendlicht rückwärtig, vorne die grün-saftigen Deichwiesen mit dem Rhein in Sichtweite. Lange Reihen mit frühen und späten Erdbeeren, angelegte Bienenweiden. Direkt am Deich sollen demnächst Hühner auf einem großen Wiesenstück ein mobiles Heim bekommen. Annette Raadts merkt man die Liebe zu diesem Stück Erde an, sie brennt für ihren Beruf, nein -es ist ihre Berufung.

Mit dem Obstbau hat ihr Großvater August 1946 begonnen, erzählte sie auf dem Rundgang. Großmutter Alwine verkaufte die Ernte im vom Krieg zerstörten Ruhrgebiet. In den 60iger Jahren übernahmen dann Annettes Eltern Paul und Maria den Betrieb und eröffneten zudem einen Hofladen. „Für mich war schon ganz früh klar, hier ist mein Platz, das will ich später auch machen. Ich war schon als Kind immer am liebsten mit draußen.“ Ihre Mutter schmunzelt hier: „Unser Sohn hatte da ganz anders gelagerte Interessen. Aber Annette konnte kaum laufen, da wollte sie schon auf den Trecker.“ Was folgt, ist klassisch und solide: Ausbildung bei Clostermann in Wesel-Bislich und Bonn, Praktika im Alten Land, Aufenthalte in Holland, Neuseeland und England. 1998 übernahm sie dann den Betrieb in dritter Generation, der Vater blieb ihr wichtiger Unterstützer. Er starb 2011. Danach hat sie Darek, einen erfahrenen polnischen Mitarbeiter bereits über Jahre hindurch mit auf dem Hof gearbeitet hat, fest eingestellt. Beschäftigt werden ebenfalls Mitarbeiterinnen für den Hofladen. Und Mutter Maria ist immer noch unentbehrlich. Sie kocht täglich für das Team und hält ihr Haus und Garten in Ordnung.

Was folgt, ist klassisch und solide: Ausbildung bei Clostermann in Wesel-Bislich und Bonn,
Praktika im Alten Land, Aufenthalte in Holland, Neuseeland und England.

„Natürlich hatte ich auch neue Ideen, hatte neue Techniken gesehen und habe sie auch nach und nach erfolgreich umgesetzt. Es gibt z.B. eine Wetterstation hier in der Anlage, die mit meiner holländischen Beratung verbunden ist. Meine und deren Daten geben mir genau Auskunft, wann z.B. bei Dauerregen eine Schorfpilzerkrankung droht. So muss ich nicht regelmäßig und dauernd präventiv spritzen, sondern kann punktgenau ein Mittel einsetzen. Ich habe auch einen deutschen Berater aus der Landwirtschaftskammer, wo ich übrigens auch in der Fachgruppe bin. Ich glaube, ich bin ganz gut beraten.“

Ob sie denn schon einmal über eine Nachfolge nachgedacht hat? „Bisher noch nicht wirklich. Mein Lebensgefährte macht etwas ganz anderes. Ich habe keine Kinder. Insofern…. Aber ehrlich gesagt, das hier will ich noch lange Zeit selbst machen!“

Wir kamen jetzt zu den Lagerräumen. Annette Raadts machte mit Schwung eines der großen Tore auf: „Und jetzt könnt Ihr alle mal frisch geerntete Äpfel riechen.“ Der Duft ist betörend- ein feucht-frisches, kühl-fruchtiges Aroma strömt uns aus den deckenhoch gestapelten Kisten entgegen. In jeder Kiste werden 300 kg frisch geerntete Äpfel gelagert. Sind die Hallen voll, wird extern ausgelagert. Die Temperatur liegt konstant zwischen 1 und 3 Grad Celsius. Der Boden wird vor der Einlagerung einmal durchgefeuchtet. „Für die B-Äpfel kommt eine mobile Obstpresse auf den Hof. Wir mosten selbst, unser Apfel- Birnensaft ist im Laden ein echter Renner.“ Apropos Laden. Quasi durch die Hintertür über den Sortier- und Verpackungsraum betreten wir den Hofladen und werden wieder von einem sehr intensiven Duft von frischen Äpfeln und Birnen empfangen. Säfte, Weine, Honig, Gemüse und Kartoffeln, ausgewählte Bioprodukte.

„Wir mosten selbst, unser Apfel- Birnensaft ist im Laden ein echter Renner.“

Und dann kam das Sahnehäubchen: In der Scheune waren Tische gedeckt, ein Buffet aufgebaut, überall leuchteten Kerzen. Und in der Zwischenzeit hatte Darek den Grill in Betrieb genommen. Jetzt konnte echt niemand mehr widerstehen! Hinten in der Scheune stand übrigens Annettes „Sommerhaus“. Das kann sie an einen Trecker hängen und mitnehmen zum See. Mit der offenen Seite zum Wasser, den Grill einsatzbereit an der Seite geparkt, „an warmen Sommerabenden sitzen wir hier mit Freunden und Familie, meine beiden Hunde sind natürlich immer mit von der Partie, wir schwimmen und genießen einfach nur das Leben. Wenn die Sonne dann langsam untergeht, habe ich das sichere Gefühl, nirgendwo anders sein zu wollen.“