Anja Niedringhaus und Nadia Qani  – Museum Goch

Von starken Frauen und einem Abend, der in Erinnerung bleibt.

Die Abendsonne war an diesem Septemberabend  einfach atemberaubend schön, es war warm, die Tür zum Museum Goch stand weit offen,  die letzten organisatorischen Vorbereitungen liefen, die Getränke standen bereit.

Der Abend konnte beginnen. Es sollte ein ganz besonderer Abend  mit ganz besonderen Gästen werden. Gemeinsam mit dem Leiter des Gocher Museums, Dr. Stephan Mann, hatte Barbara Baratie es mit Beharrlichkeit und langem Atem bewerkstelligt, eine Auswahl von Fotos der international bekannten Fotografin Anja Niedringhaus nach Goch zu holen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Die Bilder der Fotografin, die bis zu ihrem gewaltsamen Tod 2014 für die renommierte Fotoagentur AP aus vielen Krisen- und Kriegsgebieten berichtete, sind weltberühmt und die Lizenzen für eine Ausstellung sind für ein doch eher kleines  Museum, wie es das Gocher Museum ist, kaum über den normalen Museumsetat zu finanzieren.

Die Übung gelang dennoch – mit finanzieller  Unterstützung des unternehmerinnen forum niederrhein, der Verbandsparkasse und den Gocher  Stadtwerken. So können jetzt  40 ihrer eindrucksvollen Fotos aus dem Jahrzehnte andauernden afghanischen Kriegsalltag gezeigt werden. Die Fotos stellen zudem eine intensive Beziehung  zur Bilderserie von Pavel Wolberg dar, die im ersten Stock zu sehen ist.  Auch sie zeigt uns Menschen, die aus lebensbedrohenden Situationen geflohen sind und sich nun auf der Bahnfahrt zur erhofften Rettung und Sicherheit befinden.

©maro-fotodesign

Für Dr. Mann als Museumsmensch ist die Fotografin nicht nur Reporterin. Für ihn wird die Fotografin dann zur Künstlerin, wenn „Ästhetik und vielleicht sogar Schönheit dazukommt“. Er machte in seiner Ausstellungseinführung deutlich, worum es ihm geht:  „Zu zeigen, was es heißt, als Zivilgesellschaft im Krieg zu sein, als Kind in einem zerstörten Land aufzuwachsen, ohne Heimat zu sein und – Hoffnung zu behalten. “ Dass sich Menschen in Kriegen und Konflikten trotz ihrer Perspektivlosigkeit immer wieder ein Stück Normalität schaffen, sich beistehen, gemeinsam lachen, arbeiten, lernen, spielen – ist für ihn nur mit dem im Menschen angelegten Willen zu überleben zu erklären.

Zu unseren Gästen gehörte auch die Mutter von Anja Niedringhaus, die es sich nicht hat nehmen lassen, aus Höxter zur Ausstellungseröffnung zu kommen.  Das Gespräch mit ihr über ihre Tochter und deren Arbeit waren für mich ein ganz besonderes Highlight an diesem Abend. Die Ausstellung ist bis Anfang 2017 zu sehen.

 

Geliebtes Afghanistan

Anja Niedringhaus hat mit ihrer Fotografie unser Bild von Afghanistan wesentlich geprägt. Dabei zeugen diese Fotos keineswegs nur von Gewalt und Terror. Ihren Bildern sieht man an, dass sie dieses Land und seine Menschen geliebt hat. Sie wolle mit ihren Bildern Geschichten erzählen, Geschichten, die sie als Zeitzeugin erleben durfte: „Kriege und Krisen haben viele Facetten, die man beleuchten muss. Doch die interessanten Geschichten passieren oft nicht im Feuergefecht. Ich bin viel mehr am Leben der Leute vor Ort interessiert als an der Ballerei. Ich sitze sicher nicht hier und warte auf den nächsten Anschlag.“

Nadia Qani stand schon länger auf der Referentinnen-Wunschliste.  Als „Deutsche aus Afghanistan“ (so auch der Titel ihrer Autobiographie), steht sie für Entschlossenheit, Kreativität, Lebenskraft aber auch gesunden Geschäftssinn von Frauen, die  es schaffen wollen. Auch sie hat nie aufgehört, ihre Heimat zu lieben.

Afghanen haben weitverzweigte und durch den Krieg in aller Welt verstreute  Familienclans  und wenn irgend möglich, hält man auch den Kontakt. Nadia Qani reiste also nicht nur mit einer Musikergruppe und ihrer Lektorin Dr. Anette Rein an, sondern ebenso mit ihrem Lebensgefährten und ihrem Onkel, einem emeritierten Professor aus Amerika mit seiner Frau, die derzeit in Deutschland zu Besuch sind.

©maro-fotodesign ©maro-fotodesign

Zwei  Musiker, eine Musikerin – alle hochreputiert in Fachkreisen – nahmen auf echten afghanischen Teppichen Platz (auch die hatten die Reise von Frankfurt nach Goch gemacht) und mit den ersten Tönen war die Atmosphäre im bis auf den letzten Platz gefüllten Raum auf der einen Seite  fremd und andrerseits sehr dynamisch und spannungsgeladen. Ustad Ghulam Hussain, einer der weltbesten Rebab-Spieler dazu die Meisterflötistin Johanna-Leonoe Dahlhoff und an den Tablas Mirweis Neda gaben jeweils das Intro zu den Textpassagen, die von  Dr. Annette Rein gelesen, dann durch die sehr persönlichen Erzählungen von Nadia Qani ergänzt wurden. Wie sie als Zwanzigjährige, gerade frisch verheiratet – wie ihr ‚Traumprinz‘ Jamil schon vorher – aus Afghanistan flieht, welche Strapazen der Weg über 3000m hoch gelegene Pässe im Hindukusch führte, sie in stinkende, sackähnliche Bauernkleider gesteckt wird und sie kein Wort sagen durfte, um sich nicht durch ihren Großstadtdialekt zu verraten. Ihre Todesangst, als sie auf dem  letzten gefährlichsten Teil ihrer Flucht in einen LKW unter unzählige Kartons mit Schmuggelzigaretten versteckt wird und weil die Grenzsoldaten für’s Weggucken beim Zigarettenschmuggel nicht genauer hinschauen, sie nach Stunden – nahe am Irrewerden – aus dem LKW geholt wird. In Pakistan und damit in Freiheit!

©maro-fotodesign ©maro-fotodesign

Nadia Qani hat bereits als junge Frau von Anfang 20 begriffen, dass sie nur eine Chance hat, erfolgreich durch’s Leben zu kommen, wenn sie aus dem, was sie gerade hat, was sich ihr genau in diesem Moment als Chance bietet, das Beste macht. Stück für Stück „erlernt und erarbeitet“  sie sich ihre neue Heimat Deutschland, wo sie nach langer Trennung ihren Mann wieder trifft.  Sie bekommt 2 Söhne, aber zuletzt scheitert ihre Ehe daran, dass ihr Mann sich nicht in sein neues Leben einfinden kann. Ganz anders Nadia Qani.  Schritt für Schritt arbeitet sie sich nach oben.  Sie nimmt Putzstellen an, sie arbeitet in einer Eisenwarenhandlung und lernt seltsame Worte wie „Kreuzschlitzschraube“, „Holzschraube“ und „Dübel“.  Wieder über eine Putzstelle macht sie sich selbständig mit einem Pflegedienst und ist erfolgreich. Sie geht in die Öffentlichkeit, schreibt ihre Geschichte und engagiert sich in sozialen Projekten in ihrer alten und neuen Heimat.  „Ich habe so viel Glück gehabt und so viel erreicht. Davon will ich etwas zurückgeben.“

Mittlerweile ist sie gut unterwegs, um ihr Buch vorzustellen. Den Erlös spendet sie – einen Teil für ihre ehemalige Schule und einen Teil an ein Frauenprojekt in Frankfurt.

©maro-fotodesign  ©maro-fotodesign

Zum Abschluss des Abends gab es noch einmal Musik – und ein Gedicht, erst in deutscher, dann in persischer Sprache. Ich habe nichts verstanden und war doch ganz gefangen vom vollen, schönen Klang dieser Sprache.

Gabriele Coché-Schüer                

P.S. Für die hervorragende und auf den Abend perfekt abgestimmte Bewirtung zeichnete Mara Lütke (der Hauskoch, Wesel) verantwortlich, unser tatsächlich jüngstes Mitglied im unternehmerinnen forum niederrhein.