Da wurde es Zeit, dass  wir auch zum Gamerschlagshof kamen. Astrid Gerdes hatte die Mitgliedsfrauen des unternehmerinnen forums eingeladen, den Archehof in Xanten am Grenzdyck 3 kennenzulernen.

Nun muss man dazu sagen, dass frau sich den Besuch dort erst einmal erarbeiten muss, wenn man nicht ortsansässig bzw. ortskundig ist. Selbst mein Navi zeigte Unsicherheiten und insistierte immer darauf, dass links abgebogen werden sollte (was gar nicht ging). Wenn nicht just das Auto mit der Aufschrift „Maro-Fotodesign“ aufgetaucht wäre, aus dem Maro winkte – wer weiß, ob ich nicht noch immer in den unendlichen niederrheinischen Weiten herumirren würde.

Es gibt zwei Zuwege zu dem unter und hinter Bäumen versteckten Hof, wie im Nachhinein zu erfahren war. Unser Weg war zwar der längere, aber garantiert auch der schönere. Auf den letzten Metern wird man bereits von lässig vor sich wiederkäuenden Schottischen Hochlandrindern (die sehr wohl durch ihre unglaublich dekorativen Ponys gucken können)  begrüßt. Der Innenhof ist so, wie man sich einen zünftigen Bauernhof vorstellt, im Vierkant umgeben von Stallungen und Remisen. Das dazugehörige Haupthaus mit dem schön angelegten Garten ist ein unter Denkmalsschutz stehendes ehemaliges Gutshaus.

Hinter dem Gartentor eine ausgesprochen wachsame 4er- Gang Hunde. Vor dem Gartentor die dazugehörende überaus souveräne Haus-und-Hof Katze Paula.

 

Astrid Gerdes kommt uns entgegen. Sie hatte gerade in der Tenne letzte Hand angelegt an der für uns gedeckten Kaffeetafel. In diesem Gebäude gibt es auch den kleinen Hofladen, der samstags (und nach Vereinbarung) hofeigene Produkte anbietet.

Also erst einmal – wie man auf neudeutsch sagt „warming up mit smart food“: Bärlauchsuppe, sehr leckeres Fingerfood. Und wir konnten endlich 2 „neue“ Mitgliedsfrauen mit einem Blumenstrauß willkommen heißen, die zwar schon länger bei uns sind, es aber bisher noch nie geschafft hatten, zu einem Freitagtreffen zu kommen: Marion Holtei  (Plansecur) und Corinna Ortmann (co-works).

Astrid Gerdes hatte für uns auch eine kleine Präsentation vorbereitet: „Der Xantener Gamerschlagshof ist ein über 700 Jahre alter ehemaliger Gutshof. Er gehört zum Xantener Ortsteil Birten. Wir waren seit Ende der 90iger Jahre immer wieder unterwegs auf der Suche nach einem Hof, auf dem wir leben und den wir bewirtschaften wollten. Ursprünglich habe ich ja mal Architektur studiert, bin dann aber in die Hotelbranche umgestiegen. Ich bin ausgebildete Hotelmeisterin und habe über viele Jahre mit meinem Mann u.a. in der Pfalz erfolgreich drei Hotels geführt. Der Gamerschlagshof in Xanten stand zum Verkauf, wir haben ihn gesehen und wussten: das ist es! Gekauft haben wir ihn 2002. Es folgte eine Zeit, in der wir immer gependelt sind. In jeder freien Minute hieß es, ab an den Niederrhein – arbeiten auf dem Hof. Das Haupthaus musste aufwändig renoviert werden. Das heute unter Denkmalschutz stehende Haupthaus wurde im Kern im 14. Jahrhundert erbaut, um 1850 erweitert und im neoklassizistischen Stil umgebaut. Dazu haben wir übrigens auch eine Diele gefunden, auf der sich der Zimmermann und sein Geselle mit Namen und Datum verewigt haben.“


Der Gamerschlagshof hat eine 700jährige wechselreiche Geschichte
Der Gamerschlagshof wurde in einem Register der Herzöge von Kleve bereits 1319 erstmals urkundlich erwähnt und gehört zu den größten und bedeutendsten Hofanlagen des nördlichen Niederrheins. Er sicherte in einem ehemaligen Sumpfgebiet zwischen Xanten und Alpen, das Anfang des 13. Jahrhunderts von holländischen Arbeitern trocken gelegt wurde, die wichtige Wegstrecke von Kleve nach Rheinberg. Wahrscheinlich war das Hof-Areal, das etwas erhöht liegt, bereits in römischer  und fränkischer Zeit besiedelt.
​Die Eigentümer des Hofes waren bis in das 19. Jahrhundert die jeweiligen Landesherren, wie z.B. der Herzog von Kleve (bis 1609), der Kurfürst von Brandenburg (bis 1701) sowie der preußische König. Familie Gamerschlag verließ wohl im frühen 19. Jahrhundert den Hof.
Nach einem Brand wurde in den 1920er Jahren die große Scheune errichtet, die bis heute genutzt wird. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs befand sich auf Gamerschlagshof ein Lazarett des Roten Kreuzes mit Verbandsplatz. Wohl aus diesem Grund wurde das Hofensemble von den Alliierten beim den Kämpfen um Xanten infolge des Rheinübergangs nicht zerstört. ​

Arche- und Lernbauernhof

Ferkel lieben Schmusen

Am Anfang, so Astrid Gerdes, war nicht wirklich klar, wohin die Reise gehen sollte. Da war das Interesse an der Natur, an alten Haustierrassen. Es gab knapp 30 ha Weiden und Wiesen, 10 ha Wald und 1 ha Teiche im wahrsten Sinne des Wortes zu beackern. „Wir haben 2010, als wir komplett hierhergezogen sind, die ersten Tiere gekauft, ein paar Hühner, Gänse. So fing das an. Es folgten Schafe, Ziegen, die Hochlandrinder. Wir haben Bentheimer Schweine, eine bis vor einigen Jahren fast ausgestorbene Rasse. Wir züchten und geben auch wieder ab. Es sollen ja neue gesunde und stabile Zuchtlinien dafür sorgen, dass sich die Bestände der vom Aussterben bedrohten Rassen wieder erholen. Ich bin zwar passionierte Jägerin, aber keine „gelernte“ Bäuerin. Das hieß, wir mussten viel über alte Rassen und deren Haltung lernen. Ich glaube, es gab in den ersten Jahren kein Seminar, keine Fortbildung, keine Veranstaltung, die wir nicht besucht haben. Wir haben Kontakt zur Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) aufgenommen, die das „Arche-Höfe“-Projekt initiiert hat. http://www.g-e-h.de/das-arche-projekt-106 und haben uns als Arche-Hof beworben.“

Seit 2013 ist der Gamerschlagshof der bisher einzige und erste Archehof des Kreises Wesel.

Nach so viel spannenden Informationen wollten wir aber jetzt auch alle „Tiere gucken“. Wir -das waren nicht nur die Erwachsenen. Insgesamt waren 8 Kinder im Alter von 11 Monaten bis 12 Jahren  mit von der Partie. Ab ins  Freigehege – Federvieh anschauen. Puten, Hühner, Enten, Gänse, vor allem die männlichen Vertreter veranstalteten vor uns auf und ab ein mächtiges Schaulaufen – sehr zum Vergnügen der Kinder.

„Wir haben hier eine Vielzahl von unterschiedlichen Tieren, u.a. Flugenten, Laufenten, Emdener Gänse, Perlhühner, Niederrheiner und Rheinländer Hühner, Bronzeputen, da hinten sind übrigens Bienenstöcke“ erklärte Astrid Gerdes, während der 11 Monate alte Johannes völlig begeistert durch die Enten stakelte. „Wir wollen, dass unsere Tiere entspannt sind, sie sollen sich wohlfühlen, auch wenn hier Menschen ins Gehege kommen. Wir machen ja öffentliche Fütterungen. Zu uns kommen Schulklassen, Kitas. Wir hatten schon mehrfach die Sendung mit der Maus bei uns auf dem Hof. Die Kinder sollen ja den Kontakt zu den Tieren aufnehmen, auch zu den Rindern und Schweinen. Wir können uns gar nicht leisten, gestresste Tiere auf dem Hof zu haben. Das wäre ja auch für uns Stress pur. Wir haben aber auch schon heftig Lehrgeld bezahlt. So sind uns schon Kamerunschafe und Ziegen in Panik über den Zaun gegangen. Dann kommen in der Regel Anrufe aus der Nachbarschaft und wir können die Tiere wieder einsammeln.“

Die Hochlandrinder sind die Ruhe selbst, sie kommen, sie lassen sich streicheln. Ebenso die Pferde und vor allem – unglaublich – die Schweine. Die Bunten Bentheimer Schweine sind ausgewachsen gewaltig und finden es wunderbar, sich vor Publikum zu suhlen. In einem Auslauf gab es eine Muttersau mit ihren 14 Tage alten Ferkeln zu bestaunen. Unsere Fotografin Maro war hin und weg und hat fotografiert, was das Zeug hielt.

Natürlich muss hier auch immer wieder die betriebswirtschaftliche Seite in Augenschein genommen werden. Die Tiere sind Nutztiere, sie werden gezüchtet, um geschlachtet zu werden. Das Fleisch ist begehrt. „Immer mehr Menschen achten darauf, woher das Fleisch kommt und sind auch bereit, dafür mehr zu zahlen.“ Im Hofladen werden neben Obst und Gemüse selbst hergestellte Marmeladen, Honig, Kompotte und Schmalz verkauft.

Es gibt Offene Tür-Tage, regelmäßig öffentliche Fütterungen und Führungen. Es gibt einen Event- und Seminar-Service. Astrid Gerdes ist Genussbotschafterin der Sarah-Wiener-Botschafterin und Mitglied der Deutschen Knigge-Gesellschaft. Als Lernbauernhof gehören Projekttage für Kindergärten und Universitätsseminare mit zum Angebot. Sogar Imker-Seminare stehen mit auf dem Plan.

Die Umsätze werden so über zahlreiche Aktivitäten generiert. Der Gamerschlagshof bietet zudem Praktikumsplätze für Schülerinnen und Schüler und Studierende. Die Zusammenarbeit mit möglichst vielen Hochschulen wird forciert. Studierende finden hier gute Bedingungen für ihre Forschungsarbeiten. Manche leben sogar für einige Zeit mit auf dem Hof. Astrid Gerdes ist gut vernetzt mit der Hochschule Rhein-Waal und sie pflegt diese Kontakte mit Begeisterung: „Seit 2011 kommen auf unseren Hof regelmäßig Studierende für ein Praxissemester oder weil sie eine Arbeit schreiben möchten. Die Themen gehen nicht aus. Egal, ob eine Biologin an unseren Teichen forscht oder jemand eine Arbeit über unsere Rinder oder Schweine schreiben will, hierfür sind wir jederzeit offen!“

Seit einiger Zeit ist der Gamerschlagshof eine GmbH, die beiden Töchter Anna und Luise Steinhoff sind geschäftsführende Gesellschafterinnen. Astrid Gerdes ist Prokuristin. Sie musste nach der Scheidung eine Entscheidung treffen: Gamerschlagshof ja oder nein. Ihre Töchter wollten ihn unbedingt behalten. Anna und Luise arbeiten derzeit in ihren Berufen, leben aber mit ihren Partnern auf dem Hof und packen so oft es geht, mit an. Tatkräftige Unterstützung gibt es durch weitere 2 Mitarbeiter. Astrid Geredes kann Tierpflegerinnen und Tierpfleger ausbilden

Astrid Gerdes und ihre Töchter „können“ Öffentlichkeitsarbeit und arbeiten immer wieder an neuen Ideen, mit denen sie ihren Gamerschlagshof in Szene setzen und weiter bekannt machen.

Wer einmal da war, kommt wieder. Es ist ein atmosphärischer Ort, der die Menschen einnimmt und entschleunigt. Wir waren über 3 Stunden dort, es kam mir vor wie ein Tag Urlaub.

Gabriele Coché-Schüer

Fotos: Maro-Fotodesign

 

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